16. Oktober 2020
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir bedanken uns für die Gelegenheit zu den geplanten Änderungen des Juristenausbildungsgesetzes NRW Stellung nehmen zu dürfen.
Zunächst begrüßen wir sehr, dass das NS-Justizunrecht zukünftig mehr Berücksichtigung im Studium finden soll. Ebenso erfreuen uns die weiterreichenden Regelungen zum Studium mit Kind sowie das Vorhaben, dem Europarecht einen höheren Stellenwert in der juristischen Ausbildung beizumessen.
Sie weisen zutreffend darauf hin, dass es an der Zeit ist, die Ausbildungs- und Prüfungsvorschriften einer kritischen Revision zu unterziehen und, wo nötig, anzupassen oder zu vereinfachen. Leider mussten wir feststellen, dass einige der geplanten Anpassungen studierendenunfreundlich sind und das Studium vielmehr erschweren, als dass sie einen Mehrwert für die Studierenden schaffen.
Im Folgenden möchten wir auf einige der geplanten Änderungen detaillierter eingehen:
§ 7 Abs. 1 Nr. 5 – Erfolgreiche Anfertigung von fünf Aufsichtsarbeiten und fünf häuslichen Arbeiten
Grundsätzlich begrüßen wir die stärkere Gewichtung von häuslichen Arbeiten. Die Kompetenz zum wissenschaftlichen Arbeiten ist definitiv ein wichtiger Faktor des juristischen Berufes und sollte daher auch in der Ausbildung mehr Gewichtung erfahren.
Die Zahl von fünf häuslichen Arbeiten geht allerdings weit über die jetzige Norm in NRW und anderen Bundesländern hinaus. Für die Studierenden stellt diese Festlegung im JAG eine erhebliche Mehrbelastung dar, die im Entwurf auch mit keiner entsprechenden Entlastung verbunden ist. Hausarbeiten sowie praktische Studienzeiten werden üblicherweise in der vorlesungsfreien Zeit absolviert. Erhöht man die Zahl der Pflichthausarbeiten auf fünf, fehlen in der vorlesungsfreien Zeit die Freiräume für praktische Studienzeiten, die Vertiefung von Lehrinhalten oder das Engagement an bspw. Moot Courts.
Zudem können die Hochschulen entsprechende Regelungen, im Einklang mit ihrem Studienverlaufsplan auf ihre Studierenden sowie die standortspezifischen Begebenheiten anpassen und in ihren eigenen Ordnungen festhalten. Durch eine Festlegung auf fünf Hausarbeiten im JAG wird den Hochschulen jeglicher Freiraum in der Ausgestaltung der juristischen Lehre genommen.
Wir sprechen uns daher entschieden gegen die geplante Änderung aus.
§ 12 (in der aktuell gültigen Fassung) – Aufheben der Abschichtung
Die Abschaffung der Abschichtungsmöglichkeit ist eine studierendenunfreundliche Lösung. Der psychische Druck während des Staatsexamens wird so noch einmal verschärft.
Durch das Abschichten wurde die Stoffmenge zwar nicht reduziert, den Studierenden aber eine Möglichkeit geboten, die Lerninhalte gestreckt wieder zu geben und dadurch den psychischen Druck reduzieren zu können.
Ziel muss es sein, das Abschichten in sämtlichen Bundesländern zu ermöglichen, anstatt es dort abzuschaffen, wo es bereits möglich ist. Dies ist auch expliziter Wunsch sämtlicher Fachschafts- und Studierendenvertretungen des Bundes. Eine allgemeine Einführung des Notenverbesserungsversuches ist zwar erfreulich, ersetzt das Abschichten aber keinesfalls. Wir sprechen uns daher gegen eine Abschaffung der Abschichtungsmöglichkeit aus.
Wie das Justizministerium die Gesetzesänderung als studierendenfreundlich bezeichnen kann, ist uns schleierhaft. Im Weiteren schließen wir uns in diesem Punkt der Stellungnahme der Landesfachschaft NRW an.
§§ 14 Abs. 2, 15 Abs. 1 S. 2 Beteiligung von Hochschullehrenden an der staatlichen Pflichtfachprüfung
Eine Beteiligung von Hochschullehrenden an der staatlichen Pflichtfachprüfung ist unabdingbar. Die Studierenden werden während der gesamten universitären Ausbildung von Hochschullehrenden unterrichtet und auf das Examen vorbereitet. Die Ausbildung an der Hochschule unterscheidet sich jedoch von der gelebten Praxis als Jurist:in. In einer lediglich durch Praktizierende abgenommenen Prüfung besteht die Gefahr, dass die verschiedenen Theorien der rechtswissenschaftlichen Lehre in einer durch Praktizierende geleiteten Prüfung kaum Berücksichtigung finden. Auch andere Bundesländer sehen daher eine verpflichtende Beteiligung der Hochschullehrenden an den Prüfungen im Staatsexamen vor.
Auf unliebsame Rechtsansichten durch die Aufhebung der entsprechenden Norm zu reagieren, halten wir für ein fragwürdiges Vorgehen. Der Anspruch sollte sein, die aktuellen Vorgaben des JAG umzusetzen, zumal auch das OVG deutlich macht, dass Prüfungen mit Hochschullehrenden eine andere Qualität als solche ohne aufweisen.
§ 18 Abs. 3 – Stärkere Gewichtung der schriftlichen Aufsichtsarbeiten zu Lasten der Gewichtung der mündlichen Prüfung
Wir fordern eine Beibehaltung der aktuellen Wertigkeit der mündlichen Prüfung.
Das Jurastudium soll primär auf das Berufsleben vorbereiten. Die juristische Praxis, insbesondere die Arbeit als Richter:in oder Anwält:in, ist durch mündliche Beteiligung geprägt. Es ist daher zwingend erforderlich, die rhetorischen Fähigkeiten bereits im Rahmen der universitären Ausbildung zu schulen und mündliche Prüfungen entsprechend zu stärken.
Es erscheint außerdem sehr widersprüchlich im Schwerpunktbereich einerseits mündliche Prüfungen verpflichtend einzuführen, aber gleichzeitig im 1. Staatsexamen die Relevanz der mündlichen Leistung herabzusetzen.
§ 25 Abs. 2 Nr. 6: Anerkennung eines Freisemesters für die Teilnahme an einer studentischen Rechtsberatung
Wir begrüßen die Entscheidung, ein Freisemester für die Teilnahme an einer studentischen Rechtsberatung zu gewähren. Legal Clinics ermöglichen den Studierenden schon früh ihre juristischen Fähigkeiten weiterzuentwickeln und praktisch anzuwenden. Studentische Rechtsberatungen sollen daher durch die Fakultäten gefördert und verstärkt mit der Lehre verknüpft werden. Eine Anerkennung des Engagements in der juristischen Ausbildung war daher längst überfällig.
Nichtsdestominder wünschen wir uns für alle juristischen universitätsinternen Qualifikations- und Weiterbildungsangebote die Gewährung eines Freisemesters.
§ 28 Abs. 2: Verpflichtende Länge der Aufsichtsarbeiten in der Zwischenprüfung von drei Stunden sowie eine Maximalanzahl von Prüfungsleistungen
Die Bestimmung der Länge der Aufsichtsarbeiten in der Zwischenprüfung muss weiterhin den Hochschulen bzw. den Fakultäten obliegen, da diese nur so die Möglichkeit haben, die Prüfungsformen je nach Fach und Stoffmenge individuell zu gestalten. Die Fakultäten haben bereites funktionierende Zwischenprüfungsmodelle entwickelt, die häufig eine Vielzahl von Klausuren vorsehen. Die Festlegung einer einheitlichen Mindestschreibdauer sowie einer Maximalanzahl von drei Prüfungsleistungen pro Rechtsgebiet widerspricht dem tatsächlichen inhaltlichen Umfang der einzelnen Fächer.
Zudem ist eine pauschale Mindestschreibdauer von drei Stunden dem Anforderungsniveau in den ersten Fachsemestern nicht angemessen. Die Studierenden sollten langsam an die Lehrinhalte und die umfangreicheren Examensklausuren herangeführt werden, was nur durch eine graduelle Erhöhung der Schreibdauer verwirklicht werden kann. Gleichzeitig die Prüfungsleistungen auf eine Maximalanzahl von drei festzulegen, verhindert eine umfassende Prüfung der vermittelten Lehre. So soll in der Zwischenprüfung grundlegender Stoff der Rechtswissenschaften gelehrt werden. Diesen sowohl im Zivil- als auch im Straf- und öffentlichen Recht auf drei Klausuren pro Rechtsgebiet zu komprimieren, erscheint angesichts der unterschiedlichen inhaltlichen Umfänge der einzelnen Rechtsgebiete unausgewogen.
Die Gesetzesänderung nimmt den universitären Akteuren jegliche Flexibilität. Daher sprechen wir uns gegen diese aus.
§ 28 Abs. 3: Dreiklang der Schwerpunktbereichsprüfung
Wir begrüßen die Einführung einer verpflichtenden mündlichen Prüfung im Schwerpunktbereich. Mündliche Fähigkeiten müssen in der juristischen Ausbildung gefördert werden. Insbesondere der freie Vortrag und erweiterte mündliche Prüfungssituationen sollen verstärkt eingebaut werden. Mündliche Prüfungen sind nicht nur praxisorientierter im Hinblick auf das spätere Berufsleben, sondern stellen auch eine gute Vorbereitung auf die mündliche Examensprüfung dar. Der Dreiklang aus Klausur, Seminararbeit und mündlicher Prüfung stellt einen ersten Schritt in Richtung Angleichung der Schwerpunktbereiche im bundesweiten Vergleich dar.
§§ 35 Abs. 2 Nr. 4, Nr. 5: Verkürzung der Ausbildungszeit bei einer Rechtsanwältin/einem Rechtsanwalt zugunsten der Wahlstation während des Referendariats
Wir begrüßen die Umverteilung der Ausbildungszeit zugunsten der Wahlstation. Jura lebt auch von alternativen juristischen Berufen, denen nur innerhalb der Wahlstation Rechnung getragen werden kann.
Art. 2 Abs. 1 Übergangsfrist
Wir schließen uns der Landesfachschaft NRW hinsichtlich ihrer Forderungen zur Übergangsfrist an. Es erscheint auch uns unbegreiflich, eine Übergangsfrist von nur einem Jahr und drei Monaten für eine so weitgehende Reform festzulegen. Ein solch kurzer Zeitraum ist für eine konstruktive Umsetzung an den einzelnen Universitäten, aber auch für die Studienverlaufsplanung der Studierenden unzumutbar. So ist alleine die Zwischenprüfung mehrheitlich auf vier Semester ausgelegt und auch die Examensvorbereitung nimmt oftmals bis zu 18 Monate in Anspruch. Dahingehend würde sich die Studienordnung innerhalb der einzelnen Studienabschnitte gravierend ändern und eine unverhältnismäßige Belastung für die Studierenden darstellen. Jene planen meist ab dem ersten Semester ihren Studienaufbau. Auch in Hinblick auf die Veränderung der Mindestdauer der praktischen Studienzeit werden die Studierenden rückwirkend benachteiligt. So bedarf es einer längerfristigen Übergangsregelung für alle Praktika, die bis zum Inkrafttreten des JAG absolviert werden. Unter dem alten JAG oder in anderen Bundesländern entsprechend der dortigen Rechtslage absolvierte dreiwöchige Praktika müssen auch in Nordrhein-Westfalen weiter Anerkennung finden. Die Verfassungsmäßigkeit einer solchen Rückwirkung stellen wir in Frage.
Fazit:
Unter einer studierendenfreundlichen Neuregelung verstehen wir etwas anderes. Kein integrierter Bachelorabschluss, Abschaffung der Abschichtung und keine Kürzung des Pflichtstoffs – kaschiert bloß durch symbolische Verbesserungen! Ein genereller Verbesserungsversuch schafft keinen Ausgleich dieser Verschlechterungen, sondern ist eine längst fällige notwendige Anpassung an die Mehrheit der anderen Bundesländer. Dabei kritisieren wir stark, dass dieser nicht nur mit Kosten für die Studierenden verbunden ist, sondern auch, dass Freiversuchstatbestände weniger bedeutsam werden. Besserer Mutterschutz und Legal Clinics können unserer Meinung nach aber nicht über die massiven Unzulänglichkeiten hinwegtäuschen, die mit diesem Gesetzentwurf verbunden sind.