14. August 2023
Gemeinsame Stellungnahme des Bundesverbands rechtswissenschaftlicher Fachschaften e.V. und der Fachschaft Jura der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Am 18. Juli 2023 wurde in Kiel eine neue Juristenausbildungsverordnung (JAVO) für Schleswig-Holstein beschlossen, die zum 27. Februar 2024 in Kraft treten soll. Ziel dabei sollte laut Justizministerin Prof. Dr. Kerstin von der Decken die Qualitätssicherung und Harmonisierung der juristischen Ausbildung sein – an beidem geht die Verordnung leider vorbei.
Die Notwendigkeit einer neuen Verordnung begründet das Schleswig-Holsteinische Justizministerium unter anderem damit, die rechtlichen Rahmenbedingungen für das E-Examen in der staatlichen Pflichtfachprüfung schaffen zu wollen. Dies ist in der Tat ein wichtiges und unterstützenswertes Anliegen – leider fehlt es jedoch an jeder zeitlichen Konkretisierung des E-Examens. Die bisherigen Ankündigungen des Ministeriums erschöpfen sich in bloßen Absichtserklärungen und lassen befürchten, dass Studierende in Schleswig-Holstein auch mit der neuen JAVO noch mehrere Jahre auf die Einführung des E-Examens warten müssen. Das digitale Abfassen der Klausuren der staatlichen Pflichtfachprüfung ist ein wichtiger Schritt zur Modernisierung der juristischen Ausbildung sowie im Hinblick auf die Gewährleistung von Chancengleichheit im bundesweiten Vergleich und sollte aus diesen Gründen so schnell wie möglich ermöglicht werden.
Noch bis vor kurzem hatte das Ministerium offen kommuniziert, die Regelung, dass nach zwei Schreibtagen in der staatlichen Pflichtfachprüfung ein Ruhetag folgt, abschaffen zu wollen. Mittlerweile ist man von dieser Position abgerückt und behauptet, dass man den Kritiker:innern bestimmter JAVOÄnderungen entgegenkomme, indem man versuche, den Ruhetag dauerhaft beizubehalten. Tatsächlich entfaltet jedoch der Beschluss der Konferenz der Präsident:innen, Vorsitzenden und Leitungen der Justizprüfungsämter aus dem Mai 2022, welcher Grundlage für die schleswig-holsteinische Bestrebung der Streichung des Ruhetages darstellte, keine Wirkung mehr. Man geht folglich bloß mit den bundesweiten Entwicklungen, ohne ernsthaft auf andere Kritikpunkte einzugehen. Ferner hebt man die alte Verpflichtung des Ruhetages nach zwei Schreibtagen auf und hängt diese an die Vereinbarkeit mit dem Ringtausch, sodass eine Abschaffung des Ruhetages und das Schreiben von bis zu vier Klausuren hintereinander ohne weitere JAVO-Änderung beschlossen werden kann.
Eine Änderung, die trotz Protest durchgesetzt wurde, ist die Erweiterung des Pflichtfachstoffkataloges. So wird nun neben dem ohnehin schon umfangreichen Katalog an prüfungsrelevanten Inhalten auch noch das Internationale Privat- und Verfahrensrecht zum Pflichtfachstoffkatalog gerechnet. Während immer häufiger eine Überarbeitung und Reduzierung des Pflichtfachstoffes gefordert wird, übernahm man in Schleswig-Holstein den Pflichtstoffkatalog aus dem Bericht des Ausschusses zur Koordinierung er Juristenausbildung (KoA) vom Herbst 2017 „ohne Ergänzungen oder Streichungen“. Wie man auf diese Weise die vom Schleswig-Holsteinischen Landtag begriffene „Notwendigkeit der Begrenzung des Prüfungsstoffs [berücksichtigt], um die Bewältigung des Studiums in angemessener Zeit zu gewährleisten“ berücksichtigen konnte, erscheint mindestens fraglich. Argumentiert wird auch hier wieder mit dem Klausurenring und der dadurch notwendigen Harmonisierung der Pflichtfachstoffkataloge. Dass aber die Klausuren des Klausurenrings nicht zwingend in allen teilnehmenden Bundesländern einheitlich gestellt oder sogar gar nicht verwendet werden, wird dabei ignoriert. Wenn in anderen Ländern von den „einheitlichen Prüfungsbedingungen“ abgewichen wird, kann die Chancengleichheit, mit der hier in Schleswig-Holstein argumentiert wird, also von vornherein nicht ermöglicht werden.
Auch die Einführung einer zweiten Strafrechtsklausur wurde beschlossen. Damit müssen in SchleswigHolstein ab dem Februar 2024 sieben Klausuren in der staatlichen Pflichtfachprüfung geschrieben werden. Grund für die Einführung einer zweiten Aufsichtsarbeit im Strafrecht sei die Stärkung der strafrechtlichen Kompetenzen der Prüfungskandidat:innen. Als Begründung für diesen Schritt wird angebracht, dass die Zulassungsvoraussetzungen für die erste staatliche Pflichtfachprüfung im Strafrecht bereits zu einem sehr frühen Stadium im Studium – nämlich laut Studienverlaufsplan nach insgesamt vier Semestern – erlangt werden. Nach Absolvierung der Prüfungsleistungen komme es dazu, dass das Strafrecht im weiteren Verlauf des Studiums vernachlässigt werde – ein Phänomen, angemerkt, welches nicht zuletzt einem Pflichtfachstoffkatalog geschuldet ist, der so umfangreich ist, dass er keinen Raum für freiwillige Stoffwiederholung lässt. Statt jedoch auf universitärer Ebene an dieser Stelle anzusetzen und die Prüfungsleistungen im Strafrecht zu einem späteren Zeitpunkt absolvieren zu lassen, entschied man sich dazu, die Studierenden durch eine zusätzliche Klausur zum extensiveren Lernen für die staatlichen Pflichtfachprüfung zu „motivieren“.
Zur Begründung für diesen drastischen Schritt verweist man auf die durchschnittlichen Examensnoten in Sachsen-Anhalt, die mehr als einen Notenpunkt besser ausfallen. Hier werden – wie in SchleswigHolstein geplant – zwei Aufsichtsarbeiten im Strafrecht geschrieben. Nicht eingegangen wird allerdings darauf, dass es in Sachsen-Anhalt neben den zwei Klausuren im Strafrecht noch einen weiteren, weitaus bedeutenderen Unterschied gibt: An der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, der einzigen Universität in Sachsen-Anhalt, an der Rechtswissenschaften mit dem Abschluss erste juristische Prüfung studiert werden kann, werden insgesamt fünf verschiedene Strafrechts- und Strafprozessrechtsvorlesungen angeboten. Die Zulassungsvoraussetzungen für die staatliche Pflichtfachprüfung im Strafrecht werden somit nicht vor Abschluss des 5. Semester erworben. Die besseren Prüfungsergebnisse im Strafrecht in Sachsen-Anhalt lassen sich im Rückschluss also auch sehr gut auf weitere Faktoren als allein auf die zweite Strafrechtsklausur zurückführen. Während man auf der einen Seite unter dem Deckmantel der Harmonisierung den Pflichtfachstoffkatalog erweitert, weicht man nun mit der Einführung einer siebten Klausur von den fast überall einheitlichen Prüfungsbedingungen ab.
Mit dem Beschluss der neuen JAVO wird der Anschein erweckt, als könnte man der „Qualitätssicherung“ des Studiums nur gerecht werden, indem man die Anforderungen an die Studierenden stetig erhöht. Im Gegenzug wird sich hinter dem Ringtausch und vermeintlichen Harmonisierungsbestrebungen versteckt, wenn es darum geht, Inhalte zu streichen oder attraktive Prüfungsbedingungen zu schaffen, die von denen der anderen Länder abweichen. Das Ergebnis sind ein erweiterter Pflichtfachstoffkatalog und eine zusätzliche Klausur – in Schleswig-Holstein scheint man Quantität mit Qualität gleichzusetzen.