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13. Januar 2021

Dem Bundesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften ist es schon länger ein Anliegen, eine bundesweite Harmonisierung bezüglich der zu nutzenden Hilfsmittel im ersten Examen zu erreichen.

Diesem Thema kam in der Vergangenheit wenig Aufmerksamkeit zu, es rückt jedoch aufgrund der aktuellen Ereignisse in Hamburg wieder in den Fokus. Das Justizprüfungsamt Hamburg hat am 1. Oktober 2020 eine neue Hilfsmittelverfügung mit Wirkung zum 1. Oktober 2021 erlassen, welche jegliche Paragraphenhinweise, Unterstreichungen oder Griffregister als Hilfsmittel in den Examensklausuren untersagt. Durch Proteste der Hamburger Studierenden rückte das Prüfungsamt vorerst von seinem Vorhaben ab und setzte die Hilfsmittelverfügung bis auf Weiteres aus.

Im ersten Examen werden unterschiedliche Hilfsmittel verwendet. Neben Paragraphenhinweisen werden auch Unterstreichungen bzw. Markierungen sowie Griffregister zum Auffinden von Gesetzen genutzt. In welcher Form und welchem Umfang diese Hilfsmittel verwendet werden dürfen, regeln die Bundesländer in eigenen Hilfsmittelverordnungen oder mit Hilfe von Verfügungen.

Die diversen Regelungen führen unweigerlich zu einer mangelnden Vergleichbarkeit der Examensklausuren. Es sollte daher eine Vollharmonisierung in dem genannten Bereich angestrebt werden.

Problemaufriss

Die Regelungen zu den zugelassenen Hilfsmitteln der einzelnen Bundesländer weisen massive Unterschiede auf. So besteht in einigen Bundesländern, wie bspw. Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg, die Möglichkeit eine unbegrenzte Anzahl an Unterstreichungen und Paragraphenhinweise vorzunehmen, während andere Bundesländer, wie NRW und Mecklenburg-Vorpommern, dies komplett untersagen. Ein Mittelweg wird nur von vereinzelten Bundesländern gewählt. Niedersächsische Studierende dürfen bspw. nur fünf Hinweise pro Seite vornehmen, während in Bayern 20 pro Doppelseite erlaubt sind.

Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Griffregistern. In den meisten Bundesländern ist es vorgesehen, nur den Anfang eines Gesetzes mit einem Klebezettel zu markieren. Länder wie NRW und Sachsen-Anhalt untersagen jedoch auch dies komplett. Nur wenige Ausnahmen, wie etwa Niedersachsen erlauben ihren Studierenden in einem Abstand von jeweils 100 Paragraphen Griffregister einzufügen.

Mangelnde Vergleichbarkeit

Durch die verschiedenen Regelungen zu Hilfsmitteln unterscheiden sich auch die Prüfungsbedingungen für die staatlichen Pflichtfachprüfungen erheblich voneinander: Durch Griffregister können die Prüflinge merklich Zeit einsparen, die ansonsten für das Hin- und Herblättern benötigt würde. Paragraphenhinweise und Unterstreichungen erlauben es zudem, bei der Suche nach der richtigen Norm schneller fündig zu werden, z.B. indem sog. „Keywords“ hervorgehoben werden oder zugehörige Paragraphen nicht erst gesucht werden müssen.

So kann wertvolle Zeit eingespart werden, wodurch sich die Gestaltung der Hilfsmittelverfügungen mittelbar auf die Klausurnoten auswirkt. Dies spiegelt sich auch in den Ergebnissen der Examensklausuren wider: Je weiter die Hilfsmittelverfügungen in den Ländern, desto besser schneiden die Prüflinge im Durchschnitt ab. Dies ist jedoch nicht damit zu begründen, dass die Verwendung von Paragraphenhinweisen die Prüfungen inhaltlich erleichtern, sondern vielmehr mit der damit einhergehenden Zeitersparnis und dem verstärkten Fokus auf methodische Zusammenhänge in der Prüfungsvorbereitung.

Es leidet daher vor allem die bundesweite Vergleichbarkeit der Examensergebnisse, wenn davon ausgegangen werden muss, dass diese im Schnitt besser oder schlechter sind, je nachdem welcher Hilfsmittelverfügung man unterlag.

Zudem ist die Harmonisierung des Jurastudiums seit jeher ein großes Anliegen der Justizminister:innenkonferenz, was auch an der umfangreichen Debatte zum Schwerpunktbereichsstudium abgelesen werden kann. Während in Bezug auf den Schwerpunktbereich allerdings sogar eine Abschaffung der Gesamtnote gefordert wurde, da die Noten bundesweit nicht vergleichbar seien, wird das Problem der Notenunterschiede aufgrund verschiedener Hilfsmittelverfügungen bislang nicht wahrgenommen. Angesichts des Umstandes, dass sich die Justizminister:innen zum Ziele der Harmonisierung auf die Abschaffung der Gesamtnote einigen konnten, sollte auch eine bundesweit einheitliche Regelung zu den erlaubten Hilfsmitteln durch die JuMiKo schnell zu erzielen sein.

Wird das Examen dadurch einfacher?

Gegen weite Hilfsmittelverfügungen wird oft angeführt, dass dadurch das Anforderungsniveau im Examen sinken würde. Unterstreichungen und Register helfen allerdings lediglich beim schnelleren Auffinden von Normen und beeinflussen das Niveau der Klausuren nicht. Was man zudem auswendig lernen müsste, um sich Paragraphenhinweise zu ersparen, sind lediglich Zahlen. Dass es zum Paragraphen X noch einen Paragraphen Y gibt, der ebenfalls zu beachten ist, wissen die allermeisten Studierenden; jedoch nicht unbedingt, wo dieser genau steht und müssen wertvolle Zeit in die Suche danach investieren.

Das stumpfe Auswendiglernen von Zahlen oder schnelles Blättern im Gesetz haben keinen Bezug zu juristischen Fähigkeiten und sollten nicht mittelbar zu Prüfungsgegenständen gemacht werden. Diese Hilfsmittel ersetzen also keine juristischen Fähigkeiten und die Klausuren werden dadurch inhaltlich nicht leichter. Vielmehr ermöglicht es die Zeitersparnis aufgrund der Register, Paragraphenhinweise und Unterstreichungen, sich stärker mit dem eigentlichen Klausurinhalt auseinanderzusetzen. Dadurch kann auch der psychische Stress während einer Prüfung gesenkt werden, indem sich die Studierenden stärker auf den Inhalt der Klausuren konzentrieren können, anstatt die Ressourcen in das Blättern im Gesetz zu investieren.

Um Paragraphenhinweise und Unterstreichungen zudem richtig anzuwenden, ist ein tiefes Systemverständnis und juristisches Wissen erforderlich, da diese Hinweise bei Unkenntnis eher verwirren als weiterhelfen. Der Lernfokus liegt durch diese zusätzlichen Hilfsmittel also deutlich stärker auf der Methodik. So wird nachhaltiges Lernen gefördert, anstatt diejenigen zu belohnen, die besonders gut Auswendiglernen können.

Praxisorientierung

Die Arbeit mit und an dem Gesetz ist Teil der juristischen Praxis und des juristischen Arbeitsalltags. Jurist:innen fügen selbstverständlich in ihren Gesetzen Paragraphenhinweise, Unterstreichungen und Markierungen hinzu. Häufig wird aber auch einfach auf digitale Gesetzestexte zurückgegriffen. Die entsprechenden Normen sind hier aufgrund der Suchfunktion schnell zu finden. Insbesondere können mehrere Normen gleichzeitig angezeigt werden. Mit dem Suchen und Finden von Paragraphen wird auch in diesem Fall keine Zeit verbracht. Es wird häufig genau darauf ankommen, schnell die passenden Normen zu finden. Dabei können Griffregister eine Unterstützung, aber auch nur eine Unterstützung sein. Ohne das nötige Wissen können auch Gesetze mit Griffregistern, Paragraphenhinweisen und Markierungen nicht zur Lösung eines Rechtsproblems beitragen.

Angleichung „nach oben“

Aus diesen Gründen sprechen wir uns dafür aus, dass eine Angleichung der Hilfsmittelverfügungen und verordnungen „nach oben“ erfolgt, man sich also an den weitesten Regelungen orientieren soll. Eine Angleichung wäre auch erreicht, würden jegliche Kommentierungen und Register in den Hilfsmitteln verboten werden. Dies ist angesichts des stärkeren Fokus auf dem Auswendiglernen sowie der starken Divergenz zur juristischen Praxis didaktisch allerdings nicht zu empfehlen.

Mehrkosten?

Die Befürchtung, dass mit der Einführung von Paragraphenhinweisen, Markierungen und Griffregistern ein höherer und zeitlicher Aufwand einhergeht, lässt sich einfach entkräften. Aufsichtspersonen sind ohnehin vor Ort und müssen während der Prüfung anwesend sein und die Gesetze kontrollieren. Es wäre lediglich erforderlich zusätzlich darauf zu achten, dass keine systematischen Paragraphenketten im Gesetz stehen.

Fazit

Aus den genannten Gründen fordert der Bundesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften e.V. die flächendeckende Zulassung von unbegrenzten Paragraphenhinweisen, Unterstreichungen (mindestens einfarbig) und Griffregistern. Insbesondere in Bezug auf die Griffregister erscheint es nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen lediglich der Beginn eines Gesetzes mit einer Seitenmarkierung versehen werden darf. Die Griffregister leisten schließlich nur einen Beitrag zum schnelleren Auffinden der Paragraphen und helfen nicht bei der inhaltlichen Falllösung.

Eine bundesweite Angleichung der Hilfsmittelverordnungen/Hilfsmittelverfügungen würde zur Harmonisierung des Jurastudiums in Bezug auf die Prüfungssituation und die Lernprozesse beitragen.

Darüber hinaus käme es zu einer näheren Heranführung an den juristischen Arbeitsalltag, in dem es gerade nicht darauf ankommt, schnell im Gesetz blättern zu können.