Stellungnahme zur Präsenzlehre

Behutsame Rückkehr zur Präsenzlehre

Die Umstellung auf ein digitales Lehrformat, die im Sommersemester 2020 stattfinden musste, ist den Hochschulen weitgehend gelungen. Gleichwohl können die eigenen vier Wände den Lern- und Lebensraum der Universität nicht gleichwertig ersetzen. Indes setzt der wissenschaftliche Diskurs persönlichen Austausch voraus. Während es im Sommersemester 2020 notwendig war, die Lehrveranstaltungen zu digitalisieren, zeigen nun vorgenommene Lockerungen in allen gesellschaftlichen Bereichen, dass auch an der Universität an die Wiederaufnahme des wissenschaftlichen Diskurses gedacht werden muss. Wir bedauern, dass hierzu derzeit noch keine politischen Maßnahmen ergriffen wurden.

Der freie Zusammenschluss von Student*innenschaften (fzs) hat gemeinsam mit etlichen Hochschullehrenden einen offenen Brief unter dem Titel „Zur Verteidigung der Präsenzlehre“ veröffentlicht. Die Kernforderung lautet: „Wir fordern eine – vorsichtige, schrittweise und selbstverantwortliche – Rückkehr zu Präsenzformaten.“

Dieser Forderung schließen wir uns als Bundesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften e.V. ausdrücklich an. Mit diesem Plädoyer wollen wir darstellen, wie eine verantwortliche Rückkehr zu Präsenzformaten im Jurastudium aussehen sollte.

  1. Auswahl der Lehrveranstaltungen

Der wissenschaftliche Diskurs findet primär in Seminaren sowie kleineren Schwerpunktvorlesungen statt. Daher halten wir es für wesentlich, diese Veranstaltungen im Wintersemester wieder zu ermöglichen. Die Gruppenstärke liegt bereits jetzt zum Teil unter den aktuell zulässigen zehn Personen, alternativ ist ein Ausweichen auf ausreichend große Hörsäle problemlos möglich.

In Arbeitsgemeinschaften kommt der Präsenzlehre ebenfalls eine hohe Bedeutung zu. So kann die Vermittlung der Falllösungstechnik viel besser im gemeinsamen Austausch erfolgen, als dies in einer digitalen Veranstaltung möglich ist. In Anbetracht der Tatsache, dass Arbeitsgemeinschaften die Gruppengröße einer Schulklasse nicht übersteigen und der Schulbetrieb zum kommenden Schuljahr ebenfalls wieder beginnen wird, stehen die Universitäten in der Verantwortung, einen Betrieb der Arbeitsgemeinschaften in Präsenz im Wintersemester 2020/21 zu ermöglichen.

Eine größere Herausforderung stellen Vorlesungen dar. Hier kommt grundsätzlich ein „rollierendes System“ in Betracht. Sofern die Hörsäle aber für kleine Veranstaltungen benötigt werden, ist eine weitere Durchführung von großen Vorlesungen über die genutzten E-Learning-Tools möglich. Für die genaue Gestaltung sollten die Formate des Sommersemesters 2020 evaluiert und auf dieser Grundlage in einem Dialog von Fachschaften und Lehrenden ein Konzept für das Wintersemester 2020/21 erstellt werden.

  1. Berücksichtigung von Risikogruppen

Sollte es zu der vorgestellten Teilöffnung der Fakultäten und einem „Hybridsemester“ kommen, muss eine Lösung für diejenigen gefunden werden, denen eine Teilnahme an Präsenzlehre in den Universitäten nicht zugemutet werden kann. Dies betrifft primär Risikogruppen bzw. deren Angehörige als auch Personen, die sich in Quarantäne befinden oder infolge von Symptomen aus Rücksicht auf ihre Mitmenschen zu Hause bleiben. Ebenso könnten sich infolge ausgefallener Betreuungsangebote Probleme für Studierende mit Kindern ergeben und Reisehindernisse können ausländische Studierende sowie Lehrende beeinträchtigen. Schließlich ist das ehrenamtliche Engagement von Studierenden im medizinischen Bereich oder in der Pflege von Angehörigen zu berücksichtigen.

Eine Wiederöffnung der Fakultäten darf die genannten Gruppen von der Teilnahme an der universitären Lehre nicht ausschließen. Eine „vorsichtige“ Rückkehr verlangt daher die Entwicklung von Konzepten, mit denen diese Personen teilnehmen können. Dies kann bei Vorlesungen über eine Aufzeichnung, bei Seminaren über eine ergänzende Videokonferenz oder in Arbeitsgemeinschaften über die Einrichtung zusätzlicher Online-Arbeitsgemeinschaften erfolgen. Die Fakultäten sind gehalten, die lange vorlesungsfreie Zeit im Sommer zu nutzen, um entsprechende Konzepte zu entwickeln.

  1. Einbeziehung der Studierenden

Ein gelungenes „Hybridsemester“ setzt voraus, dass die digitalen Lehrformate die Erfahrungen des Sommersemesters 2020 einbeziehen. Dabei sollte auf den Erfahrungen aller Betroffenen aufgebaut werden. Einzubeziehen sind somit sowohl Studierende als Zielgruppe der Lehre als auch die Lehrenden, die für die Gestaltung zuständig sind. Die Fragen, welche Veranstaltungen in Präsenz stattfinden sollen, wie dort eine Einbeziehung der oben genannten Gruppen erfolgen kann und wie eine flexible Anpassung an veränderte Gegebenheiten erfolgen kann, sollten in offenen Gesprächsrunden diskutiert werden, in deren Universitätsverwaltungen, Lernende und Lehrende gleichermaßen vertreten sind.

Wir sind überzeugt: Mit behutsamen Lockerungen und einem gemeinsamen Verfahren zwischen Lernenden und Lehrenden kann es gelingen, den Mehrwert von Präsenzveranstaltung mit den im Sommersemester gemachten digitalen Erfahrungen zu verbinden. Eine entsprechende Kombination aus Präsenz- und Online-Elementen kann dazu führen, dass die Pandemie von der aktuellen Einschränkung mittelfristig zu einer Weiterentwicklung der Lehre führt.

 

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